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Fritz und die Steinläufer
Es ist ein schöner, sonniger Tag heute. Und es ist ein sehr ruhiger Tag, nicht viel los bei uns in der Gegend. Das war in den letzten Tagen auch schon so. Deshalb konnte ich alles, was man als Feuerkäfer so erledigen muss, ohne Stress machen. Normalerweise ist das völlig anders, dann muss man sich genau überlegen, wann man irgendwo hingeht. Naja, jetzt habe ich jedenfalls Ruhe und Zeit um ein bisschen von mir zu erzählen.
Also, ich heiße Fritz und ich bin, wie gesagt, ein Feuerkäfer. Natürlich bin ich nicht der Einzige in dieser Gegend, ganz im Gegenteil, mein ganzer Stamm lebt hier. Und wir sind ein besonderer Stamm. Wir leben nicht im Wald oder auf einer Wiese wie die meisten Käfer. Es gibt bei uns zwar auch Bäume und Sträucher, aber die stehen ziemlich weit auseinander. Außerdem leben hier noch einige andere Arten von Käfern, dazu Ameisen und Insekten. Was es allerdings im Wald bestimmt nicht gibt sind diese gigantischen Kästen aus Stein. Davon stehen hier überall welche rum, egal in welche Richtung man geht.

Wo keine Bäume oder Sträucher sind ist der Boden ebenfalls aus Stein. Für mich als Feuerkäfer ist das total unpraktisch. Auf so einem Boden gibt es so gut wie nie etwas Interessantes zu finden. Weil ich aber ein neugieriger Feuerkäfer bin sehe ich mich gerne mal bei den Pflanzen um, bei denen die anderen Käfer und Insekten wohnen. Dann muss ich über den Steinboden laufen und es ist immer ein echt langer Weg. Nicht nur das, wenn ich zur falschen Zeit losgehen würde könnte es richtig gefährlich werden.
Keine Angst, es gibt hier keine Tiere, die Feuerkäfer fressen. Das Problem sind die Steinläufer. Sie sind die eigenartigsten Lebewesen, die ich kenne. Vor allem sind sie riesig. Also, nicht alle gleichgroß, manche sind doppelt so groß wie die Kleinsten. Ich denke, das ist genau wie bei Käfern, die kleineren sind Steinläuferkinder. Nur sind selbst die Kinder so groß wie tausend mal tausend Feuerkäfer. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, man muss wahnsinnig aufpassen, damit man nicht unter ihre Füße gerät.

Füße ist ein gutes Stichwort. Ich habe noch nie andere Lebewesen gesehen, die auf nur zwei Beinen und zwei Füßen laufen. Und das tun sie eben auf dem Steinboden, die Kinder meistens, die Großen sehe ich fast nie im Sand oder auf dem Lehmboden. Deswegen nennen wir sie Steinläufer.
Als wäre das mit den Beinen nicht schon merkwürdig genug, sie haben die Fähigkeit, von Tag zu Tag ihr Aussehen zu verändern. Jedenfalls am Körper wechseln die Farben, einzig der Kopf sieht immer ziemlich gleich aus, mit Fell obendrauf. Ach ja, ein paar von den Großen haben auch Fell im Gesicht. Mir scheint jedoch, dass sie sogar das selbst bestimmen können. Wenn sie keine Lust auf Fell haben nehmen sie es ab oder machen es wenigstens kürzer. Nur an der Farbe ihrer Gesichter können sie wohl nichts ändern. Die ist immer gleich, wobei es verschiedene Farben gibt. Sehr viele sind recht hell, manche so mittel und manche dunkel. Das hat aber, wenn ich es richtig beobachtet habe, nichts zu sagen. Warum sollte es auch, bei Käfern gibt`s das ja genauso. Feuerkäfer sind eben an roter Farbe zu erkennen. Ob ein anderer Käfer grün ist oder vielleicht gelb ist mir eigentlich völlig egal. Ich finde, jeder Käfer ist gleich viel wert. Genau gesagt nicht nur die Käfer, sondern auch die Ameisen und Insekten. Okay, die Ameisen verstehe ich nicht so richtig. Die schleppen ständig Sachen durch die Gegend, sehr große Sachen, die viel schwerer sind als sie selbst. Sie sagen, sie müssen das tun, damit es ihrem Stamm gut geht. Wenn es so ist muss ich das respektieren. Wir Käfer machen ja ebenso alles was für uns gut ist. Ich schweife ab, zurück zu den Steinläufern. Mal ehrlich, findet ihr die nicht auch ziemlich sonderbar? Dabei habe ich Euch das Verrückteste noch gar nicht erzählt. Sie verbringen nämlich, sogar bei allerschönstem Wetter, sehr viel Zeit in den Steinkästen. Es gibt Tiere, das weiß ich, die lieber tagsüber zuhause bleiben und nachts unterwegs sind. Bei den Steinläufern kann das aber nicht so sein. Die Steinkästen sind nicht ihr Zuhause, jeder Steinläufer kann in verschiedene Kästen gehen, manche sind gleichzeitig draußen, mal mehr und mal weniger. Und über Nacht bleiben sie gar nicht hier, je tiefer die Sonne sinkt, desto mehr von ihnen
gehen weg. Erst am nächsten Tag kommen sie wieder, fast alle innerhalb kürzester Zeit. Allerdings nicht jeden Tag, regelmäßig bleiben sie zwei Tage hintereinander verschwunden. Es gibt nur eine Ausnahme. Ein großer Steinläufer bleibt immer in der Gegend, er wohnt tatsächlich in einem kleineren Kasten, etwas abseits der Anderen. Wahrscheinlich ist er ihr König oder ihr Chef. Wie das bei denen organisiert ist durchschaue ich nicht wirklich. Jedenfalls ist dieser besondere Steinläufer sehr mächtig. In seinem Kasten wohnen beispielsweise zwei völlig andere Tiere, mit Fell am ganzen Körper und auf vier Beinen laufend. Die machen immer alles was er ihnen sagt. Außerdem besitzt dieser Steinläufer die Macht, Veränderungen an den Steinkästen vorzunehmen. Wenn ihm etwas nicht gefällt kann er Teile einfach entfernen und durch andere ersetzen. Ich bin echt froh, dass er offensichtlich nichts gegen Feuerkäfer hat. Er könnte bestimmt auch unser Zuhause mal schnell umbauen oder sogar zerstören wenn er das wollte.
Überhaupt, ich bin mir sicher, dass die Steinläufer nicht bösartig sind. Früher dachte ich tatsächlich, sie können uns Käfer gar nicht sehen, weil wir so winzig sind im Vergleich zu ihnen. Das war ein Irrtum, wie ich sehr plötzlich erkennen musste. Eines Tages hat mich ein Steinläuferkind einfach von meinem Gebüsch hochgehoben.

Zuerst habe ich mich fürchterlich erschrocken. Zum Glück haben mich das Kind und seine Freunde nur neugierig angestarrt und dann wieder ins Gebüsch gesetzt. Das war sicherlich nicht böse gemeint, doch ich wünsche mir, sie würden sowas nicht machen. Sie sind alle so unfassbar groß, da bekommt man es mit der Angst zu tun, dass etwas passieren könnte, einfach aus Versehen. Schließlich kenne ich das wegen der Füße.
Wenn viele Steinläufer draußen sind ist es besser im Gebüsch zu bleiben. Sie treten nicht mit Absicht auf Käfer. Sie passen nur leider nicht richtig auf, schon gar nicht, wenn sie es eilig haben. Einige von ihnen haben es oft eilig. Sie rennen dann alle hinter einer einzigen Kugel her und treten dagegen, wenn sie die Kugel eingeholt haben. Ihr seht, je mehr ich von den Steinläufern berichte, desto sonderbarer wirken sie.

Nun habt ihr ein wenig davon erfahren, wie das Leben als Feuerkäfer in dieser Gegend ist. Besser gesagt, wie es war. Es sind nämlich nicht nur alle Steinläufer zwei Tage weg gewesen, sondern danach fast alle Steinläuferkinder weg geblieben. Das ist jetzt schon mindestens seit zehn mal zwei Tagen so, wahrscheinlich noch länger. Daher die vielen ruhigen Tage, von denen ich schon am Anfang sprach. Natürlich ist das irgendwie schön, immerhin kann ich viel häufiger gefahrlos meine Besuche bei den anderen Stämmen machen.

Trotzdem mache ich mir Sorgen, ob es den Steinläuferkindern wohl gut geht. Sie gehören nun mal genauso zu dieser Gegend wie Feuerkäfer, Ameisen und Insekten. Und ohne sie wären auch die riesigen Kästen aus Stein ziemlich überflüssig. Solange ihr König die Kästen nicht abbaut hoffe ich deswegen, dass die Steinläuferkinder irgendwann wieder hierher kommen.

Ende

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